Reviews from Bad Alchemy Magazin / BA 94 (6/2017) / Freedom is Space for the Spirit and Oneness with Michel Lambert, Alexey Lapin and Rafal Mazur.

Der Altosaxophonist FRANÇOIS CARRIER und der Drummer MICHEL LAMBERT aus Quebec treten so oft gemeinsam auf, als gäbe es in ihrem Leben nichts anderes. Dabei tanzt Lambert, der an der McGill University lehrt, schon auch mit anderen Schuhen, mit seiner Frau, der Jazzsängerin Jeannette Lambert war er in Indonesien, mit dem Auguste Quartet auf Europatour, und zwischendurch nimmt er sich die Zeit für sein ‘Journal des Episodes’ oder für ‘Le Passant’, wo er Orchestermusik und Improvisation unter einen Hut steckt. Gerne bilden die beiden allerdings auch A Band of Three, insbesondere mit dem Pianisten ALEXEY LAPIN, mit dem sie nach Dezember 2010 (“Inner Spire”, “In Motion”, “AII Out”) und April 2013 (“The Russian Concerts 1 & 2”) im Mai 2014 erneut zusammengetroffen sind, auch wieder in der ESG 21 in St. Petersburg. Motto ihrer musikalischen Demonstration war Freedom is Space for the Spirit (FMRCD425), wobei das Räsonieren über Russland als ‘Land of Paradoxes’ den breitesten Raum einnimmt. Wie trollverseucht, krimverhärmt, putinverstehend oder “Leningrad”- begeistert auch immer, eine rechte Vorstellung vom Druck auf die zivilgesellschaftlichen Nischen und die Freiheit des Denkens, Saufens und Lästerns in Russland fällt schwer. Freejazz jedenfalls. net problem. Mit dem DOM und dem Jewish Culture Center in Moskau oder hier der Experimental Sound Gallery abseits vom “Nevsky Prospect’ als guten Adressen. Die Besucher wurden von Carrier belohnt mit Lyrismen, die die weicheren Seiten von John Coltrane verinnerlicht haben, seine meditative Selbstlosigkeit. Lapin ist dara eingestimmt und auf glasperlenspielerisch gleicher Wellenlänge. Lambert bildet den dritten Pol, auf subtile Weise polternd, nicht leisetreterisch, nicht glatt, mit feinherbem Beigeschmack, grummelig, bei den blechernen Akzenten gern ein bisschen schrottig. Bei ‘Keep Calm’ überrascht Carrier, indem er mit chinesischer Oboe zu markantem Ostinato quäkt. Bei ‘Happiness not for Sale!’ plonkt Lapin leicht windschief und widerspenstig und lässt sein schon mit Kruglov oder VocColours gezeigtes Temperament ahnen. Aber es ist Carrier, der schrill eskaliert, um dann supreme fortzufahren, und Lapin flockt dazu etwas Parmesan vom Mond. Er muss die steile, krumme Treppe zur Lichtquelle der Poesie erkrabbeln, Lambert schleppt dabei noch allerhand Geraffel, Carrier aber lässt sich von seinem Flügelhelm hinauf propellern.

Der 24.125.5.2015 führte die beiden Kanadier ein Jahr nach “Unknowable” (Not Two), das auf der Rückreise vom “Freedom is Space”-Konzert entstanden ist, wieder im Alchemia Club in Krakau mit RAFAL MAZUR an der (verstärkten) akustischen Bassgitarre zusammen, wobei am Sonntag “The Joy of Being” (NoBusiness) erklang und am Montag Oneness (FMRCD444). Die par Poesie dazu ist polnisch und von Wisława Szymborska. Mazur ist ein interessanter Typ, anfänglich mit Connections zu Insubordinations, dann im Duo mit dem Saxophonisten Keir Neuringer und im Miteinander mit etwa Mikolaj Trzsaka, Liudas Mockunas, Raymond Strid oder Agustí Fernandez zunehmend profiliert als einer, der beim Teeren & Federn nicht mit Teer spart. Wenn ich das recht höre, lässt er den dunklen Ton des Instrumentes zwar etwas sonorer als Luc Ex pulsieren, spornt aber als versatiler Arpeggierer mit enormem Drive FRANÇOIS CARRIER zu fiercen Tönen an. Auch den Eiertanz mit der Chinesenoboe animiert er mit flinken Pelzpfoten. ‘Flow’ ist ein Stichwort, ‘Uplifting’ ein anderes, ‘Urgency of Now’ ein drittes, wobei Carrier, um einiges aufgekratzter als in St. Petersburg, mords Intervallsprünge hinlegt und Löcher für’s Abheben stößt und trillert. Das kann sehr gut mit so energievollen Windy City-Saxern wie Dave Rempis und Ken Vandermark verglichen werden, mit auch Momenten der Innerlichkeit, die MICHEL LAMBERT klickernd und rappelig an bloßer Melodienseligkeit und Traumschäumerei vorbei stachelt. Freilich kirrt und kräht Carrier, auch öfters mit der Oboe, und zwar als Altoist mit Tenordrall, aber dennoch mit furiosem Altissimo, schon selber viel zu gern, um einem hohlen Holismus ins Ohr zu blasen.